1. Gegenstand und Zielsetzung
egenstand des vorliegenden Artikels ist die Identifizierung von elliptischen Strukturen in französisch- und portugiesischsprachigen Texten sowie die Beschreibung des Transferprozesses zum Zwecke der Übersetzung ins Deutsche. Die zu untersuchenden elliptischen Strukturen finden sich bevorzugt in der Schriftsprache und können als fachtextübergreifend bezeichnet werden. Die für die Betrachtung ausgewählten Beispiele stammen überwiegend aus der Fachkommunikation im Bereich Wirtschaft, Verwaltung und Recht. Ausgangspunkt der Überlegungen, ist die Feststellung, dass die im Folgenden zu identifizierenden und zu beschreibenden elliptischen Strukturen ein Übersetzungsproblem darstellen, da eine Übernahme der Ellipsen in den deutschen Zieltext den grammatischen und stilistischen Regeln der deutschen Sprache zuwiderlaufen würde. Die Übersetzung der untersuchten elliptischen Strukturen erfordert die Anwendung von Übersetzungsverfahren, wie sie auch in der übersetzungswissenschaftlichen Fachliteratur, beispielsweise von Malblanc (1968), Truffaut (1983), Gallagher (1998), Friederich (1977), Henschelmann (1999) beschrieben werden.
In der Diskussion um Übersetzungsverfahren verweist Neubert (1995:207) auf sogenannte "cross-textual transpositions", die als Übersetzungstaktiken im Sprachenpaar Deutsch-Englisch zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um empirisch ermittelte Transpositionsregeln zur Übersetzung bestimmter syntaktisch-stilistischer Muster der Ausgangssprache in die entsprechenden Strukturen der Zielsprache. Die Besonderheit der von Neubert identifizierten Übersetzungstaktiken besteht darin, dass sie textsortenübergreifend anwendbar sind. Ein Beispiel für sprachlich-stilistische Strukturen, die charakteristisch für eine bestimte Ausgangssprache sind, jedoch in der jeweiligen Zielsprache nicht zwangsläufig akzeptabel sein müssen stellt die Verwendung der aktiven Verbform dar, wobei das zur Verbform gehörende Subjekt ein unbelebtes Agens darstellt. Während man im Deutschen sagt: "Im Bericht steht, dass die Aufgaben erfüllt wurden", heißt es im Englischen: "The report says that the tasks have been completed". Bei der Übersetzung dieses Beispiels aus dem Englischen ins Deutsche findet das Übersetzungsverfahren der "inadvertant passivation" Anwendung. Durch den Vergleich prototypischer Texte in zwei Sprachen eines beliebigen Sprachenpaares lassen sich viele solcher Übersetzungsautomatismen empirisch finden. Sie bestehen in Form strukturell-syntaktischer Äquivalenzen. Eine stilistische Form der Ausgangssprache bedingt eine entsprechende andersartige stilistische Form in der Zielsprache und umgekehrt. Derartige Strukturvergleiche lassen sich nahezu für jedes Sprachenpaar feststellen. Für das Sprachenpaar Deutsch-Französisch haben Malblanc und Truffaut ein umfangreiches Repertoire an kontrastiv-linguistischen Beispielen zusammengetragen. Dieses Repertoire ist jedoch nicht allumfassend und lässt sich immer wieder durch empirisch gewonnene Erkenntnisse bei der Tätigkeit als praktischer Übersetzer erweitern. Ziel des vorliegenden Artikels ist die Identifizierung und Beschreibung eines in französischen und portugiesischen Ausgangstexten vorkommenden sprachlichen Musters, das in der bisherigen Fachliteratur kaum Erwähnung findet. Dieses sprachliche Muster gehört in den Bereich der Schriftsprache. Es lässt sich vermuten, dass elliptische Strukturen insbesondere im Bereich Wirtschaft, Verwaltung, Recht und Technik Anwendung finden, da die Sprache in diesen Bereichen einen hohen Normierungsgrad aufweist und elliptische Strukturen eine Möglichkeit der präzisen und knappen Ausdrucksweise darstellen.
2. Zum Begriff der Ellipse
In der Linguistik ist der Begriff der Ellipse bislang nur unzureichend definiert worden, was dazu führt, dass der Terminus in der Fachliteratur uneinheitlich verwendet wird. Trotz zahlreicher Klassifikationsversuche und Bemühungen um eine eindeutige Abgrenzung dieses sprachlichen Phänomens zu anderen, gibt es bislang keine zufriedenstellende Definition. Ziel des Artikels wird es jedoch nicht sein, nach einer Lösung für die Definitionsfrage von Ellipsen zu suchen. Im Sinne des pragmatisch-funktionalen Ansatzes in der Linguistik werden elliptische Konstruktionen im Folgenden als eigenständige sprachliche Einheiten aufgefasst (vgl. ua. Hoffmann 1999). Diese Auffassung wendet sich von älteren Ansätzen ab, wonach Ellipsen als unvollständige Äußerungen angesehen werden. In den nachfolgenden Textbeispielen wird die elliptische Struktur bewusst von den Textproduzenten eingesetzt, sie ist hier Mittel der Sprachökonomie. Diese Annahme wird auch durch die Tatsache gestützt, dass Fachsprachen ein hohes Maß an Normung aufweisen.
3. Beispielanalyse im Französischen und Portugiesischen
Folgende Beispielsätze, bei denen das Phänomen der elliptischen Verneinung auftritt, sollen zur Analyse herangezogen werden. Dabei wurden drei Erscheinungsmuster zur Klassifizierung der Ellipse identifiziert. Diese sollen im Folgenden erläutert werden:
1. Fall: V1 + ou non/não [-V1] + Präp/Ø + S
AT 1: La visite des lieux sera laissée au choix des soumissionnaires de l'effectuer ou non.
ZT 1: Es bleibt den Bietern selbst überlassen, ob sie die Standorte besichtigen *[oder nicht].
ZT 1': Die Besichtigung der Standorte bleibt den Bietern selbst überlassen.
AT 2: L'administration décide d'effectuer ou non les raccordements demandés par la société.
ZT 2: Die Verwaltung entscheidet darüber/legt fest, ob sie die von der Firma geforderten Anschlüsse installiert *[oder nicht].
ZT 2': Die Verwaltung entscheidet über die Installation der von der Firma geforderten Anschlüsse.
AT 3: Não é a UE mas os seus estados membros, a título individual, que têm o poder de decidir de participar ou não numa guerra.
ZT 3: Nicht die EU, sondern ihre jeweiligen Mitgliedsstaaten können darüber entscheiden, ob sie am Krieg teilnehmen *[oder nicht].
ZT 3': Nicht die EU, sondern ihre jeweiligen Mitgliedsstaaten, können über ihre Teilnahme am Krieg entscheiden.
AT 4: Os partidários do movimento Open Source não estão muito preocupados se um usuário possui liberdade para executar ou não determinado software.
ZT 4: Die Anhänger der OpenSource-Bewegung machen sich keine Gedanken darüber, ob ein Nutzer die Möglichkeit hat, eine bestimmte Software einzusetzen *[oder nicht].
ZT 4': Die Anhänger der OpenSource-Bewegung machen sich keine Gedanken über die Möglichkeit des Einsatzes einer bestimmten Software durch den Nutzer.
In den Beispielen AT1-AT4 bezieht sich die elliptische Verneinung auf ein Verb. Hierbei erweist sich die Übersetzungsvariante ZT mit "ob" als die eindeutigere. In allen AT-Beispielsätzen geht es lediglich um eine Entscheidung zwischen "Ja" oder "Nein" (vgl. "ausführen oder nicht", "installieren oder nicht"). Im Gegensatz dazu impliziert ZT', abgesehen von einer Unterscheidung zwischen "Ja" oder "Nein", das Bestehen weiterer Entscheidungsoptionen (z.B. Zeitpunkt der Besichtigung, Art der Installation). Diese Optionen sind jedoch nicht aus dem Ausgangstext ableitbar. Die zielsprachliche "ob"-Konstruktion impliziert bereits eine Alternativentscheidung, so dass die Ellipse im Deutschen sprachlich nicht realisiert werden muss. Die Auslassung der sprachlichen Äußerung "oder nicht" entspricht den stilistischen Konventionen der deutschen Sprache.
2. Fall: S1 + ou non/não [-S1] + Präp + S2
AT5: Le système SVAT a pour but de fournir une base objective pour établir la nécessité ou non d'un projet.
ZT5: Ziel des SVAT-Systems ist es, eine objektive Grundlage für die Entscheidung darüber zu liefern, ob ein Projekt notwendig ist *[oder nicht].
ZT5': Ziel des SVAT-Systems ist es, eine objektive Grundlage für die Entscheidung über die Notwendigkeit eines Projektes zu liefern.
AT6: Il est rappelé que la préétude peut être financée indépendamment de la réalisation ou non des travaux.
ZT6: Es wird darauf hingewiesen, dass die Vorprojektierung unabhängig davon finanziert werden kann, ob die Leistungen realisiert werden *[oder nicht].
ZT6': Es wird darauf hingewiesen, dass die Vorprojektierung unabhängig von der Erbringung der Leistungen finanziert werden kann.
AT7: Durante anos a empresa discutia a realização ou não do manejo na área.
ZT7: Über Jahre hinweg erwog das Unternehmen, ob das Gelände genutzt werden sollte *[oder nicht].
ZT7': Über Jahre hinweg erwog das Unternehmen die Nutzung des Geländes.
AT8: A questão da viabilidade ou não do projecto apresenta um aspecto interessante.
ZT8: Die Frage, ob das Projekt durchführbar ist *[oder nicht], stellt einen interessanten Aspekt dar.
ZT8': Die Frage nach der Durchführbarkeit des Projekts weist einen interessanten Aspekt auf.
AT9: A definição pelo fornecimento ou não dos dados pessoais ficará sempre ao livre arbítrio do usuário.
ZT9: Die Nutzer entscheiden nach eigenem Ermessen, ob die persönlichen Daten bereitgestellt werden *[oder nicht].
ZT 9': Die Nutzer entscheiden nach eigenem Ermessen über die Bereitstellung der Daten.
In allen oben angeführten Beispielen handelt es sich bei S1 um die Bezeichnung abstrakter Zustände bzw. Vorgänge. Es lässt sich feststellen, dass die Übersetzung einerseits durch eine Transposition erfolgen kann, bei der die Substantivkonstruktion im Französischen und Portugiesischen durch einen mit der Konjunktion "ob" eingeleiteten Nebensatz aufgelöst wird, und andererseits durch die Verwendung der Substantivkonstruktion, jedoch unter Auslassung der elliptischen Verneinung, da der Anschluss von S2 an die elliptische Verneinung den stilistischen Regeln im Deutschen widersprechen würde. Die empirische Feststellung, dass die Struktur von Fall 2 als Übersetzungsproblem zu behandeln ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass sich die ausgangssprachliche Struktur in der Zielsprache nicht realisieren lässt.
3. Fall: S1 + Adj + ou non/não [-Adj] + Präp/Ø + S2/Ø
AT 10: ICSO PRIVATE EQUITY ne peut être tenue pour responsable du caractère approprié ou non des services proposés sur le Site ICSO PRIVATE EQUITY (...).
ZT 10: ICSO PRIVATE EQUITY kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, ob die am Standort von ICSO PRIVATE EQUITY angebotenen Leistungen angemessen/geeignet sind *[oder nicht].
ZT 10': ICSO PRIVATE EQUITY kann nicht für die Angemessenheit/Eignung der am Standort angebotenen Leistungen verantwortlich gemacht werden.
AT 11: Outre l'extraction et l'évacuation des déblais, ils entraînent des travaux spécifiques de consolidation des parois avec exécution simultanée ou non de revêtement, et de lutte contre les venues d'eau.
ZT 11: Neben der Ausbaggerung und dem Abtransport des Erdreiches sind noch spezielle Arbeiten zur Verstärkung der Wände und des Schutzes vor Wassereinbrüchen bei gleichzeitiger oder späterer Anbringung der Verkleidung erforderlich.
AT 12: Nas últimas edições de Questões de Direito temos tratado de diversos projetos de lei que se relacionam, de modo direto ou não, com o trânsito.
ZT 12: In den letzten Ausgaben der Zeitschrift "Questões de Direito" haben wir verschiedene Gesetzesentwürfe behandelt, die sich direkt oder indirekt mit dem Verkehr befassen.
Im Fall 3 wird das adjektivische Attribut von S1 elliptisch verneint. Bei ZT 10' wird eine zielsprachliche Substantivkonstruktion gewählt, bei der der Informationsgehalt der Aussage ebenfalls eindeutig ist, da die Attribute "angemessen" und "geeignet" sowohl in ihrer adjektivischen als auch nominalen Form auf eine Entscheidung zwischen "Ja" oder "Nein", d.h. zwischen "angemessen" oder "nicht angemessen" sowie "geeignet" oder "nicht geeignet" hinauslaufen. Bei diesen Attributen handelt es sich um abstrakte Eigenschaftsbezeichnungen.
Das Beispiel AT 11 weist formal dieselbe Struktur auf wie AT 10. Bei Betrachtung des Transferprozesses stellt man jedoch fest, dass die elliptische Verneinung des Attributs "gleichzeitig" nicht schlechthin mit "nicht gleichzeitig" übersetzt werden kann. Unter "nicht gleichzeitig" ist zunächst, rein semantisch betrachtet, "zu einem anderen Zeitpunkt" zu verstehen. Die Formulierung "nicht gleichzeitig" würde auf den deutschsprachigen Rezipienten befremdend wirken, da in diesem Falle im Deutschen der Abstraktionsgrad des Attributs eher geringer gewählt werden würde als im Französischen. Konkreter ausgedrückt muss "nicht gleichzeitig" mit "vorher" oder "nachher" wiedergegeben werden. Um aber diese Entscheidung treffen zu können, muss hier der Übersetzer sein Hintergrundwissen über dieses Fachgebiet aktivieren. Wenn klar ist, dass das "Anbringen der Verkleidung" (vgl. AT "exécution du revêtement") nur nach der "Verstärkung der Wände" (vgl. AT "la consolidation des parois") erfolgen kann, kann also mit "nicht gleichzeitig" nur "nachher" bzw. "später" gemeint sein. In diesem Falle reicht die Anwendung des Transpositionsverfahrens nicht mehr aus. Erschwerend kommt hinzu, dass bei einer Transposition vom Abstrakteren zum Konkreteren automatisch mehr Sachwissen aktiviert werden muss als umgekehrt. Der binäre Baum der Wissensstrukturierung verzweigt sich zum Konkreten hin und nicht zum Abstrakten.
Im Beispiel AT 12 steht - unter Befolgung der Konventionen der abstrakten portugiesischen Schriftsprache - "não" als elliptische Verneinung von "directo". Damit wird nicht auf die vollständige Form "não directo" zurückgegriffen. Bei der Übersetzung dieser Struktur ins Deutsche ist weder die Übernahme der Ellipse noch die Übernahme der Bezeichnung "não directo" möglich, da im Deutschen die für das Portugiesische und Französische typische hohe Abstraktionsstufe der Bezeichnung "nicht direkt" nicht verwendet werden kann. Im Deutschen muss eine niedrigere Abstraktionstufe und damit "indirekt" als Formulierung gewählt werden. Die elliptische Ausdrucksweise ist typisch für romanische Sprachen wie Portugiesisch und Französisch, bei denen die Konvention besteht, Wiederholungen des Themas zu vermeiden (vgl. "executar ou não executar").
4. Diskussion
Die Untersuchung der elliptischen Verneinung im Französischen und Portugiesischen erfordert in allen behandelten Fällen (Substantiv, Verb, Adjektiv) mindestens die Anwendung des Übersetzungsverfahrens der Transposition. Bei allen Beispielen hat sich gezeigt, dass die elliptische Verneinung in der Zielsprache stilistisch keine Entsprechung findet. Deshalb handelt es sich hier um ein genauer zu untersuchendes Übersetzungsproblem. Bei der Übersetzung der elliptischen Struktur aus dem Französischen und Portugiesischen bevorzugt der Übersetzer im Deutschen die "ob"-Konstruktion. Diese Konstruktion impliziert, dass es sich um eine Entscheidung zwischen "Ja" oder "Nein" handelt. Einige Beispiele haben gezeigt, dass die ZT'-Variante durchaus als Übersetzungsvariante in Frage käme. Jedoch gab es hier Einschränkungen, und zwar lagen diese vor allem in der Abstraktionsstufe. Es ließ sich feststellen, dass je konkreter das elliptisch verneinte Nomen, Adjektiv oder Verb war, der Interpretationsspielraum umso größer wurde. Im Umkehrschluss war bei abstrakten Ausdrücken das Vorliegen einer Alternativentscheidung, die nur die Unterscheidung zwischen "Ja" oder "Nein" erlaubte, zu beobachten. Des Weiteren zeigen die Beispiele AT 11 und AT12, dass der Übersetzer sein Hintergrundwissen aktivieren muss, um eine adäquate Übersetzungslösung zu finden. Es kommen dabei nicht nur die aus der kontrastiven Linguistik bekannten Übersetzungsverfahren zum Einsatz, sondern der Übersetzer begibt sich auf die textlinguistische Betrachtungsebene, in dem er das Prinzip der Pragmatik anwendet. Dabei müssen im Wesentlichen zwei Fragen gestellt und beantwortet werden: Was ist eigentlich im AT gemeint? Und welche konkreten Umsetzungsmöglichkeiten bestehen in der ZS, die Struktur unter Beachtung der zielsprachlichen Textkonventionen adäquat zu übersetzen? Das bei den Beispielen AT11 und AT12 zum Einsatz kommende Übersetzungsverfahren ist dann keine Transposition mehr, sondern eine Modulation.
Die Beispiele aus allen drei Fällen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen (vgl. Tabelle). Gruppe 1: Anwendung der Transposition. Es erfolgt eine Umsetzung auf rein syntaktisch-stilistischer Ebene. Es kommt ein festes Schema zur Anwendung, bei dem der Nebensatz im ZT mit der Konjunktion "ob" eingeleitetet wird. Gruppe 2: Das Übersetzungsproblem lässt sich nicht mehr rein kontrastiv-linguistisch lösen, es bedarf der Einbeziehung der Aspekte der Pragmatik und des Weltwissens. Hierbei stellt die Anwendung des festen Schemas nur den ersten Schritt der Lösung dar, der zweite Schritt besteht in der Ermittlung dessen, was eigentlich gemeint ist. Die Beispiele der Gruppe 2 kommen nur im Fall 3 vor, d.h., wo sich die elliptische Verneinung auf das Attribut eines Nomens bezieht. Während bei den Beispielen aus Fall 1 und Fall 2 die Alternative zwischen "Ja" oder "Nein" besteht, ist der Interpretationsspielraum bei den Beispielen der Gruppe 2 aus Fall 3 wesentlich breiter. Hier ist nicht das Nomen oder Verb elliptisch verneint, das jeweils einen Vorgang, eine Handlung oder einen Zustand bezeichnet, sondern es wird das Attribut des Nomens elliptisch verneint, das das entsprechende Nomen charakterisiert. Dabei lässt sich erkennen, dass, je abstrakter ein Attribut ist ("angemessen"), die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es nur eine Alternative gibt ("angemessen" - "unangemessen"). Bei Abnahme des Abstraktionsgrades, d.h., je konkreter das Attribut wird ("gleichzeitig"), steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es mehr als zwei Lösungen gibt. "Nicht gleichzeitig" kann sehr viel bedeuten, wie oben gezeigt, und muss im Deutschen konkret übersetzt werden, da die Sprachkonventionen im Deutschen derartige, im Französischen und Portugiesischen durchaus übliche abstrakte Attribute in ihrer Verneinungsform ("non simultanée") nicht zulassen. Die Lösung des Übersetzungsproblems erfordert in diesen Fällen eine komplexere Vorgehensweise, die über die rein schematische Transposition hinausgeht, da aufgrund des Wesens der Wissensstrukturierung (binäre Verzweigung) in jeglicher Disziplin der Umfang an Detailinformationen, die für den prakmatischen Übersetzungsvorgang bekannt sein müssen, mit zunehmender Konkretheit ansteigt. Der Abstraktionsgrad eines Attributs wird durch den Umfang des Bedeutungsinhaltes eines Begriffes bestimmt. Oberbegriffe sind immer abstrakter als Unterbegriffe, da sie in der binären Baumstruktur weiter oben stehen und die Unterbegriffe beinhalten. Je konkreter ein Attribut ist, umso besser ist es für die menschliche Vorstellungskraft "bildlich" erfassbar. So ist das Attribut aus AT10 "angemessen" abstrakter als das Attribut "gleichzeitig" aus AT11. Anhand dieses Beispiels lässt sich verdeutlichen, dass umso mehr Hintergrundwissen zur Lösung des Übersetzungsproblems aktiviert werden muss, je konkreter ein Attribut ist.
Fall 1
Elliptische Verneinung von Verben |
Gruppe 1 |
- Transposition als schematischer, automatisierter Vorgang
- Grad des Übersetzungsproblems: gering
- einfache Umstellung der syntaktischen Struktur "oder nicht" oder Auslassung |
Fall 2
Elliptische Verneinung von Nomen |
Gruppe 1 |
- Transposition als schematischer, automatisierter Vorgang- Grad des Übersetzungsproblems: erhöht
- Es muss eine neue syntaktische Struktur gefunden werden- tieferer Eingriff, weil "ob"-Struktur mit Wortartwechsel verbunden ist |
Fall 3
Elliptische Verneinung von attributiven Adjektiven |
Gruppe 1 und Gruppe 2 |
- Modulation- Grad des Übersetzungsproblems: hoch
- individuelle Lösung des Problems durch Aktivierung des Hintergrundwissens erforderlich
- Anwendung der Pragmatik- keine schematische Lösung möglich
- Übersetzungsverfahren der Modulation |
Tabelle: Fallbetrachtung
5. Fazit
Diese Untersuchung soll unter anderem verdeutlichen, dass die Methoden der kontrastiven Linguistik, die im Wesentlichen in den 60er Jahren entwickelt wurden, und die textlinguistischen Verfahren, bei denen eine Einbeziehung der Situationalität, der Textsortenkonventionen und des Hintergrundwissens erfolgt, miteinander verknüpfbar sind. Während die textlinguistische Herangehensweise es ermöglicht herauszufinden, was eigentlich gemeint ist, und Vorentscheidungen zum Übersetzungsvorgang in Sachen Textkonvention und Situationalität liefert, sind die Verfahren der kontrastiven Linguistik als "Tool box" zu bezeichnen, die dem Übersetzer nach dem Treffen der Vorentscheidungen die "konkreten" Lösungen zur Vollendung des Transfervorganges liefern. Nur die Kombination der beiden Betrachtungsarten "kontrastiv und textlinguistisch" ermöglicht schließlich eine praktische Anwendung der Übersetzungswissenschaft auf den konkreten Übersetzungsvorgang.
Bibliografie:
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- Friederich, Wolf (1977): "Technik des Übersetzens", Max Hueber Verlag
- Henschelmann, Käthe (1999): Problembewußtes Übersetzen. Französisch-Deutsch. Ein Arbeitsbuch Gunter Narr Verlag Tübingen
- Hoffmann, Ludger (1999): "Ellipse und Analepse". In: Angelika Redder/Jochen Rehbein (Hgg.): Grammatik und mentale Prozesse. Tübingen: Stauffenburg. (Stauffenburg Linguistik. 7.), 69-90.
- Malblanc, Alfred (1968): "Stylistique comparée du français et de l'allemand", Didier
- Neubert, A. 1995. Empirical Basis for a Translation Expert System for Trainee Translators. In: Neubert, A., Shreve, G. & Gommlich, K. (eds.) Basic Issues in Translation Studies. Kent Forum on Translation Studies. Kent: The Institute for Applied Linguistics. 201--219.
- Selting, Magret (1997): "Sogenannte 'Ellipsen' als interaktiv relevante Konstruktionen? Ein neuer Versuch über Reichweite und Grenzen des Ellipsenbegriffs für die Analyse gesprochener Sprache in der konversationellen Interaktion." In: Schlobinski, Peter (Hg.): Syntax des gesprochenen Deutsch. Opladen: Westdeutscher Verlag, 117-155.
- Truffaut, Louis (1983): "Problèmes linguistiques de traduction", Max Hueber Verlag
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