Volume 13, No. 1 
January 2009

 
Katrin Herget Holger Proschwitz

 
 

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Nuts & Bolts
 

Der portugiesische persönliche Infinitiv

und seine Übersetzungsmöglichkeiten

Katrin Herget, Holger Proschwitz

1. Einleitung

ieser Artikel möchte einen Beitrag zur Untersuchung der Übersetzungsmöglichkeiten der ausschließlich im Portugiesischen vorkommenden Verbform Infinitivo Pessoal oder Infinitivo flexionado (de. persönlicher Infinitiv bzw. konjugierter Infinitiv) leisten.

Gerade in fachsprachlichen Texten finden sich Konstruktionen mit dem persönlichen Infinitiv, die größere Umformulierungen erfordern.
Für den deutschen Muttersprachler, der die portugiesische Sprache studiert, ist allein die Bezeichnung paradox. Zum grammatischen Grundverständnis gehört es, dass eine Verbform entweder nur im Infinitiv steht oder aber konjugiert wird, entsprechend der Person. Beides zugleich ist weder in den germanischen noch in den übrigen romanischen Sprachen möglich.

Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten des persönlichen Infinitivs aus dem Portugiesischen ins Deutsche aufzuzeigen. Die Untersuchung erfolgte auf der Grundlage eines Korpus, bestehend aus juristischen Fachtexten, die allesamt der Webseite EUR-LEX (http://eur-lex.europa.eu/) entnommen wurden. Dabei handelt es sich um eine Website der Europäischen Union, die einen unmittelbaren und kostenlosen Zugang zu den Rechtsvorschriften innerhalb der EU-Länder bietet. Günstig für die Suche nach Konstruktionen mit persönlichem Infinitiv war die Tatsache, dass die Website eine Suchfunktion enthält, auf der die Gesetzestexte nach einzelnen Wörtern durchsucht werden können und diese darüber hinaus zweisprachig vorliegen.


2. Sprachhistorische Wurzeln und Verwendung des persönlichen Infinitivs

Der persönliche Infinitiv ist kein grammatisches Phänomen aus neuerer Zeit, vielmehr lässt sich sein Gebrauch weit in die portugiesische Sprachgeschichte zurückverfolgen.

Viele Grammatiken der portugiesischen Sprache enthalten Verweise auf die frühe Verwendung dieser Verbform.

In Hubers Altportugiesisches Elementarbuch aus dem Jahr 1933 findet sich folgende Passage:

Esta indicação das relações pessoais no infinitivo já se encontra nos textos portugueses mais antigos; em documentos latinos já cerca do ano 1000 surgem formas esporádicas.

Auch Paul Teyssier nimmt in seiner História da Língua Portuguesa Bezug auf diese urtypische Verbform des Portugiesischen:

O infinitivo flexionado ou "pessoal" — Trata-se de um infinitivo que possui as desinências pessoais (teer, teeres, teer, teermos, teerdes, teeren). Este tempo, atestado já nos textos mais antigos, é um traço específico do galego e do português, sendo desconhecido do leonês e do castelhano. Ex.: "Guardade-vos de seerdes escatimoso ponteiro"17 — poema satírico de Afonso X (1997: 29).

Bei Teyssier findet sich bereits ein Verweis auf König Alfons X. (1221-1284), auch genannt der Weise, der als König von Kastilien und Leon selbst Autor zahlreicher historischer, künstlerischer sowie juristischer Werke war. Unter den juristischen Werken sind insbesondere die beiden bedeutenden Gesetzessammlungen Las Siete Partidas und Fuero Real hervorzuheben. In diesen archaischen Gesetzestexten gibt es bereits Hinweise auf die Verwendung des persönlichen Infinitivs - ein Beleg dafür, dass die sprachhistorischen Wurzeln dieses grammatischen Phänomens weit zurückliegen.

Seit der Begründung der Romanistik durch Friedrich Diez in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts ist das Phänomen des persönlichen Infinitivs Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen (vgl. Wernekke (1885), Otto (1888), Michaëlis de Vasconcellos (1891).

Die Bildung des persönlichen Infinitivs erfolgt bei regelmäßigen Verben so wie beim Konjunktiv der Zukunft (Conjuntivo do Futuro). Während die 1. und die 3. Person Singular endunglos gebildet werden, erhalten 2. P. Sg. sowie die Pluralformen die Endungen: -es, -emos, -des, -em).

O INFINITIVO PESSOAL FLEXIONADO possui [...] desinências especiais para as três pessoas do plural e para a 2.ª pessoa do singular (Cunha/Cintra 1984: 482).

Mit dem persönlichen Infinitiv verfügt die portugiesische Sprache über eine grammatische Form, die das Unpersönliche mit dem Persönlichen verbindet (vgl. Schwamborn 2004: 51). Bei Cunha/Cintra (1984: 481) lässt sich nachlesen, dass der persönliche Infinitiv ein eigenes Subjekt besitzt und in Abhängigkeit von der Person entweder flektiert wird oder nicht. Im Gegensatz dazu hat der unpersönliche Infinitv kein Subjekt, da er sich nicht auf eine grammatische Person bezieht.

In ihrer Portugiesischen Grammatik führt Hundertmark-Santos Martins (1998: 172) sehr ausführlich die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten des persönlichen Infinitivs anhand zahlreicher Beispiele an. Es lässt sich beobachten, dass der persönliche Infinitiv insbesondere in der gesprochenen Sprache verwendet wird, da sich durch seinen Gebrauch mit que eingeleitete Nebensatzkonstruktionen vermeiden lassen, die die Bildung eines Konjunktivs erfordern. Diese Reflexion findet sich auch bei Dunn (1928), der in seiner Grammar of the Portuguese Language folgende Erklärung zum persönlichen Infinitiv anführt:

Whereas, in general, the simple or impersonal infinitive is used if the action is described only in a vague or general way without referring it to any special agent - as when the subject of the principal verb and of the infinitive is the same - the personal infinitive, on the other hand, is often the equivalent of a clause beginning with que, and is used when the principal verb and the infinitive have different subjects and, even though the subject is the same for both verb and infinitive, when it is desirable to bring out clearly the fact that the act is referred to or affects a determined person or persons (1928: 496).

Der persönliche Infinitiv wird jedoch nicht nur in der gesprochenen Sprache verwendet, sondern auch in den Fachsprachen. Wie bereits erwähnt, wurde dieser Untersuchung die juristische Fachsprache zugrunde gelegt. Da sie nach Knappheit und formaler Kürze strebt, ist die Verwendung des persönlichen Infinitivs eine Möglichkeit, diese Sprachökonomie herzustellen.

Almeida (1980) hebt in seiner Gramática Portuguesa drei Vorteile des persönlichen Infinitivs hervor: Klarheit, die sich aus der Nennung des Subjekts ergibt; Schönheit, durch die größere stilistische Vielfalt und schließlich Präzision durch die Verkürzung von Nebensätzen. Wie sich diese Strukturen der Sprachverknappung ins Deutsche wiedergeben lassen, wird im Folgenden zu untersuchen sein.


3. Überlegungen zur Übertragung des persönlichen Infinitivs ins Deutsche

Die syntaktische Struktur des persönlichen Infinitivs existiert nicht in der Zielsprache, weshalb sich automatisch ein Übersetzungsproblem ergibt. Die Lösung des Übersetzungsproblems kann durch die Verwendung von Übersetzungsverfahren (ÜV) erfolgen. Die Beschäftigung mit Übersetzungsverfahren ist in der Translations-wissenschaft nicht neu. Seit der im Rahmen der „Stylistique Comparée" erstellten Klassifikation von Vinay/Darbelnet aus dem Jahr 1958 haben zahlreiche Autoren Vorschläge für eine Systematisierung der ÜV unterbreitet (u.a. Catford 1965, Malblanc 1968, Nida/Taber 1969, Newmark 1988, Deslile 1993, Schreiber 1993). Dieser Untersuchung wurde Gallaghers (1982) Klassifikation zugrunde gelegt, der in seinem Werk German-English Translation. Texts on Politics and Economicsauf der Grundlage von Catfords (1965) translation shifts und der Systematik von Vinay/Darbelnet (1958) sieben Übersetzungsverfahren vorstellt. Gallagher hat die Catford'sche Systematik erweitert und eine Erweiterung der shifts über die Strukturebene hinaus vorgenommen.

Bevor die wichtigsten bei der Übersetzung der portugiesisch-deutschen Rechtstexte auftretenden Übersetzungsverfahren untersucht und beschrieben werden, um aufzuzeigen, wie sich mit ihrer Hilfe Konstruktionen mit dem persönlichem Infinitiv übersetzen lassen, soll zuvor in Kürze Gallaghers Klassifikation angeführt und mit Beispielen aus dem portugiesisch-deutschen Sprachvergleich belegt werden.

Klassifikation nach Gallagher (1982):


I. Borrowing:
Entlehnung als Mittel zum Schließen von Benennungslücken

(Verwendung von Fado oder saudade im Deutschen; Leitmotiv im Portugiesischen)

II. Calquing: Lehnübersetzung - Wörtliche Übersetzung der Konstituenten eines Kompositums

(de. Übermensch (Nietzsche) - pt. Super-homem)


III. Literal translation:
wörtliche Übersetzung eines Satzes

(de. Sie las ein Buch. - pt. Ela leu um livro.)


IV. Transposition:

1) Class-shifts

- Wortartwechsel (hier: Adjektiv Substantiv)

de. Er war bei den Prüfungen sehr erfolgreich.

en. Ele teve muito sucesso nos exames.


2) Intra-system shifts

- Kategorieverschiebung innerhalb eines Systems (hier: Aktiv Passiv);

aber auch Sg.-Pl.-Verschiebungen; bestimmter Artikel-Nullartikel

de. Mir wurde gesagt, dass (...) - pt. Disseram-me que (...)


3) Structure-shifts

- die am meisten vorkommende Art des shifts; hier erfolgt eine Strukturänderung innerhalb desselben Rangs (Rang = linguistische Einheiten, die in Hierarchien wie Satz, Wortgruppe, Wort and Morphem unterteilt sind)

pt. Brasil é o terceiro país em crimes cibernéticos.

de. Bei der Computerkriminalität steht Brasilien weltweit an dritter Stelle.


4) Inter-rank shifts

- Übersetzungsäquivalent der ZS befindet sich auf einem andern Rang als in der AS

de. Das ist unfassbar! - pt. Incrível!


5) Level shifts

- Wechsel von Grammatik in einer Sprache zu Lexik in der anderen Sprache und umgekehrt

pt. Ele tem falado muito em ti. - de. Er hat in der letzten Zeit viel von dir gesprochen.


V. Modulation:
Perspektivenwechsel

1) Positive/negative

de. Es war nicht leicht, ihn davon zu überzeugen.

pt. Foi difícil convencê-lo disso.


2) Cause/effect

de. Vorfahrt beachten. - pt. Cedência de passagem.


3) 1st person/2nd person

pt. Vai com a gente. - de. Komm mit uns mit. 3. zu 1. Person


4) Abstract/concrete

de. Baukastensystem - pt. sistema modular


5) Shift of imagery

de. Mehrmotorenantrieb - pt. accionamento seccional


VI. Equivalence:
extreme Form der Modulation; vor allem in der Phraseologie

de. zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen - pt. matar dois coelhos com uma cajadada só


VII. Adaptation:
extreme Form der Äquivalenz; Ausdruck in der ZS wird in einer vergleichbaren kommunikativen Situation wie der as-Ausdruck verwendet

de. Der Himmel über Berlin (Film von Wim Wenders) - pt. As Asas do Desejo


4. Besonderheiten der Rechtssprache

Ein kurzer Einblick in die Fachsprache des Rechts soll dazu beitragen, das hier behandelte Übersetzungsproblem in den fachsprachlichen Zusammenhang zu setzen. Bei der Zuordnung der Rechtssprache zu den Fachsprachen muss zunächst gefragt werden, welche grundlegenden Eigenschaften Fachsprachen aufweisen. Im Allgemeinen werden Merkmale wie festgelegte Terminologie, Präzision, Systematik (vgl. Busse 1998: 1383) etc. angeführt, die gleichermaßen auf die Rechtssprache zutreffen. Steger (1988: 126) sieht die Rechtssprache darüber hinaus durch die Merkmale „Würde", „Effizienz", „Sprachrichtigkeit", „Klarheit", „Kürze", „Rücksichtnahme auf den üblichen Sprachgebrauch" und „Sprachverständlichkeit für alle" gekennzeichnet. Aus dieser Aufzählung geht bereits hervor, dass die Rechtssprache anders als andere Fachsprachen in einem anderen Verhältnis fachsprachlichen und gemeinsprachlichen Wortschatz miteinander vereint.

Der Wortschatz der Rechtssprache stammt überwiegend aus der Gemein-sprache, allerdings wird häufig mit den fachsprachlichen Wörtern ein anderer Inhalt verbunden als mit den gleichlautenden allgemeinsprachlichen 

Wörtern (Daum 1981: 86).

So verwendet die Rechtssprache beispielsweise Bezeichnungen wie Eigentum und Besitz aus der Gemeinsprache, überträgt ihnen aber rechtstechnische Bedeutungen.

Hervorzuheben ist weiterhin die enge Beziehung zwischen Recht und Sprache, d.h. die Rechtsnormen werden ausschließlich durch Sprache ausgedrückt. Die Tatsache, dass sich die Juristen ausschließlich der Sprache bedienen, um Gesetzestexte auszulegen, führt dazu, dass hohe Anforderungen an die Fachsprache des Rechts gestellt werden.

Die Rechtsstaatlichkeit verlangt ein objektiv-rational arbeitendes, wissenschaftlich fundiertes Justiz- und Verwaltungssystem. (...) Diesen Anforderungen wird nur eine hochentwickelte Fachsprache gerecht, die alle notwendigen Inhalte klar, eindeutig und vollständig wiedergeben kann. Das ist das Gebot der Präzision. (Otto 1981: 51)

Busse (1998: 1388) hebt insbesondere die Tatsache hervor, dass sich die deutsche Rechtssprache durch ihr „Abstraktionsprinzip" auszeichnet, was mit dem Bestreben in Verbindung stand/steht, die Gesetztestexte für lange Zeit „haltbar" zu machen und einer sich ständig verändernden Lebenswirklichkeit anzupassen. Die Wahl abstrakter Rechtsbegriffe führt jedoch zu einem breiten Interpretationsspielraum bzw. zu einer „großen semantischen Offenheit". Diese semantische Unbestimmtheit stellt große Anforderungen an den Übersetzer, da er über eine ausreichende Verständnistiefe in diesem Fachgebiet verfügen muss.


5. Korpusanalyse

Im Folgenden soll die Korpusanalyse durchgeführt und ihre Ergebnisse dargestellt werden.

Aus: DIRECTIVA 98/13/CE DO PARLAMENTO EUROPEU E DO CONSELHO de 12 de Fevereiro de 1998

1.

Para efeitos da presente directiva, entende-se por:

- «equipamentos terminais»: os equipamentos destinados a serem ligados à rede pública de telecomunicações, nomeadamente:

a) A serem directamente ligados ao terminal de uma rede pública de telecomunicações;

1.'

Im Sinne dieser Richtlinie ist/sind

- "Endeinrichtungen" Einrichtungen, die an das öffentliche Telekommunikationsnetz angeschlossen werden sollen, d. h.

a) die direkt an die Anschlußeinrichtung eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes angeschlossen werden sollen

Der persönliche Infinitiv wird im Deutschen in Form eines Nebensatzes wiedergegeben. Dabei drückt aber die Konstruktion mit persönlichem Infinitiv nicht nur den Vorgang, sondern den Vorgang in einem bestimmten Modus aus (vgl. sollen präskriptiv-normativ).

Bei der Übertragung ins Deutsche muss folglich zunächst der persönliche Infinitiv in Form eines Nebensatzes ausgedrückt und anschließend der Modus geändert werden. Diese Modusänderung geht aus dem Kontext hervor. Die Präposition a sowie die erweiterte Präposition a fim de, mit denen der persönliche Infinitiv hier eingeleitet wird, geben an, dass ein Ziel oder ein Zweck ausgedrückt wird. Als Hilfsverb steht der persönliche Infinitiv mit ser zusammen, was darauf hin deutet, dass es sich um einen Vorgang handelt, der in die Zukunft reicht.

Nach Gallaghers Systematik handelt es sich hier zunächst um eine Transposition in Form eines Level-shifts. Dieser Level-shift besteht in der Übertragung einer grammatikalischen Konstruktion durch eine lexikalische. Der persönliche Infinitiv wird im Deutschen durch ein zusätzliches Wort (Modalverb sollen) ausgedrückt. Darüber hinaus liegt ein Structure-shift vor, bei dem der persönliche Infinitiv im Deutschen mit einem Nebensatz wiedergegeben wird.


2.

No caso de um ou vários dos exemplares dos productos controlados não estarem conformes, o organismo notificado tomará as medidas adequadas.


2.'

Ist eines oder sind mehrere der geprüften Produkte nicht konform, so trifft die benannte Stelle geeignete Maßnahmen.

In diesem Fall steht der persönliche Infinitiv im Portugiesischen mit einer konditionalen Präposition zusammen. Im Deutschen wurde die Konjunktion weggelassen, weshalb das finite Verb am Satzanfang steht. Dieser Gebrauch von uneingeleiteten Konditionalsätzen ist ein Kennzeichen der juristischen Fachsprache. Der Modus wird bei der Übertragung ins Deutsche nicht geändert, die Wiedergabe erfolgt im Indikativ Präsens.

Einerseits liegt ein structure-shift vor, der darin besteht, dass die erweiterte Konjunktion no caso de im Deutschen durch eine Inversion wiedergegeben wird. Andererseits konnte ebenso ein intra-system shift identifiziert werden, bei dem der persönliche Infinitiv im Deutschen durch das Präsens ausgedrückt wird.

 

Aus: Acordo sobre o Espaço Económico Europeu - Protocolo nº 15 relativo aos períodos de transição para a livre circulação de pessoas (Suíça e Liechtenstein)


3.

A partir de 1 de Janeiro de 1993, as autorizações de trabalho sazonal serão automaticamente renovadas aos trabalhadores sazonais titulares de um contrato de trabalho sazonal ao regressarem ao território da Suíça.


3.'

Ab 1. Januar 1993 wird eine Saisonbewilligung für Saisonarbeiter, die über einen Saisonarbeitsvertrag verfügen, bei ihrer Rückkehr in das Hoheitsgebiet der Schweiz automatisch erneuert.

In diesem Beispiel ist eine erweiterte Transposition erforderlich. Der hier vorliegende persönliche Infinitiv wird mit der Präposition a und dem bestimmten Artikel o eingeleitet. Generell gibt es für ao mehrere Übersetzungsmöglichkeiten ins Deutsche: vgl. bei, wenn, als, während. Der persönliche Infinitiv wird im Deutschen durch ein Nomen und ein Possessivpromomen ausgedrückt. Während das Nomen den Vorgang ausdrückt (Rückkehr), stellt das Pronomen in Form einer Deixis eine Beziehung zum Handlungsträger her, der im Portugiesischen durch das grammatische Morphem -em ausgedrückt wird. Die Nominalphrase ist typisch für den Nominalstil in deutschen Gesetzestexten.

In diesem Fall liegt ein class-shift vor, der charakteristisch für das Verfahren der Transposition ist. Bei der Übertragung des Satzes ins Deutsche findet ein Wortartwechsel vom Verb (regressar) zum Substantiv (Rückkehr) statt.

Aus: Regulamento (CE) n. o 1927/2006 do Parlamento Europeu e do Conselho, de 20 de Dezembro de 2006, que institui o Fundo Europeu de Ajustamento à Globalização


4.

No caso de as autoridades competentes terem verificado que a restituição solicitada era incorrecta e que a exportação não foi efectuada, não sendo, por consequência, possível qualquer redução da restituição, o exportador pagará o montante equivalente à sanção referida nas alíneas a) ou b) do n.o 1


4.'

Stellen die zuständigen Behörden fest, daß die beantragte Erstattung unrichtig war und die betreffende Ausfuhr nicht erfolgt ist, so daß eine Verminderung der Erstattung nicht möglich ist, so zahlt der Ausführer den der Sanktion gemäß Absatz 1 Buchstabe a) bzw. b) entsprechenden Betrag, den er zu zahlen hätte, wenn die Ausfuhr erfolgt wäre.

Die deutsche Übersetzung weist einen uneingeleiteten Konditionalsatz auf, der kennzeichnend für die Rechtssprache ist. Sätze wie: Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt (StGB § 2, 2), bei denen die konditionale Konjunktion wenn weggelassen wird und an ihre Stelle die finite Verbform tritt, sind Ausdruck von Verkürzung und Sprachökonomie und damit auch ein Charakteristikum der juristischen Fachsprache.

Nach Gallagher (1982) handelt es sich hier - wie bereits in Beispiel 2 - um eine kombinierte Transposition aus structure-shift und intra-system shift.

Structure-shift: no caso de Inversion

Intra-system shift: persönlicher Infinitiv Präsens

Aus: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62002J0285:PT:HTML


5.

Medida nacional que dispõe que os professores que trabalham a tempo inteiro e os que trabalham a tempo parcial estão obrigados a trabalhar o mesmo número de horas extraordinárias antes de terem direito a uma remuneração.


5.'

Nationale Regelung, wonach vollzeit- und teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung erst ab der gleichen Zahl geleisteter Mehrarbeitsstunden haben.

In diesem Beispiel erfolgt ein Wechsel der Perspektive, d.h. eine Modulation. Nach Gallaghers Klassifikation handelt es sich hierbei um einen shift of imagery.

Die temporale Konjunktion antes de, die im portugiesischen Satz den persönlichen Infinitiv einleitet, wird in der deutschen Übersetzung nicht durch einen temporalen Nebensatz ausgedrückt, sondern durch das Adverb erst und die Präposition ab. Während im Portugiesischen eine zeitliche Reihenfolge dargestellt wird, drückt der deutsche Satz aus, dass die Lehrkräfte einen Anspruch haben, der nachfolgend eingeschränkt wird (erst ab). Im Portugiesischen liegt demnach eine progressive Erklärungsweise vor, im Deutschen eine regressive. Die regressive Abfolge der Satzaussage im Deutschen ist zunächst weniger transparent, erfordert mehr Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung, da die für das Verständnis entscheidende Information erst am Ende der Aussage genannt wird. Dadurch wird eine gewisse Spannung erzeugt, die die Aufmerksamkeit des Zuhörers oder Lesers binden soll. Aufgrund dieser Besonderheit in der deutschsprachigen Rhema-Thema-Struktur ergeben sich viele Transpositionsfälle beim Übersetzen.


6.

DECISÃO DA COMISSÃO de 9 de Outubro de 1996 que autoriza a França a pagar o prémio para a transformação de animais retirados da produção antes de ultrapassarem vinte dias de idade


6.'

ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION vom 9. Oktober 1996 zur Ermächtigung Frankreichs, die mit der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch vorgesehene Verarbeitungsprämie für im Alter von weniger als 20 Tagen aus der Produktion genommene Tiere zu gewähren

In diesem Beispiel folgt der persönliche Infinitiv der temporalen Konjunktion antes de. Im Deutschen wurde die Konstruktion bestehend aus Präposition a + Artikel + Verbform im persönlichen Infinitiv aufgelöst und durch eine Präpositionalphrase (im Alter von) ersetzt.

In diesem Fall handelt es sich sowohl um eine Transposition als auch um eine Modulation. Der class shift kommt dadurch zustande, dass die im Portugiesischen verwendete Konjunktion sowie das Verb im Deutschen durch eine adverbiale Wendung wiedergegeben werden. Bei der Modulation handelt es sich um einen shift of imagery, bei dem ein Prozess zu einem Zustand gemacht wird. Während im Portugiesischen der Prozess des Überschreitens betont wird, drückt das Deutsche einen Zustand aus (weniger als).


7.

Ao delinearem a colaboração em matéria de segurança e justiça, os Estados-Membros reconheceram a vigência do referido princípio nos artigos 54.° e seguintes da convenção


7.'

Die Mitgliedstaaten haben im Rahmen der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheit und der Justiz die Geltung des genannten Grundsatzes in den Artikeln 54 ff. SDÜ anerkannt.

In diesem Satz geht dem persönlichen Infinitiv eine temporale Bestimmung voraus, mit der eine Handlung der Gleichzeitigkeit ausgedrückt wird (pt. ao delinearem a colaboração, de. beim Entwurf der Zusammenarbeit). Die offizielle deutsche Übersetzung im Rahmen der unterschlägt das Verb und bedient sich einer Präpositionalphrase. Diese Sprachökonomie durch Verwendung einer Präposition im Deutschen ist nicht nur typisch für die Rechtssprache, sondern auch für technische Texte (z.B. Spezifikationen), da sich durch ihre Verwendung lange, umständliche Nebensätze verkürzen lassen. Diese Transformation lässt sich dem class shift zuordnen, da hier ein Übergang vom Verb (delinear) zum Substantiv (Rahmen) stattgefunden hat.


Fazit

Bei der Übertragung von Konstruktionen mit persönlichem Infinitiv ins Deutsche sind in der Regel mehrere Szenarien zu unterscheiden, die von der rein syntaktischen Transposition bis hin zu semantisch komplexeren Modulationen in Verbindung mit Transpositionen reichen. Ziel dieser Untersuchung war es, darzustellen, welche Strategien der Übersetzer bei der Übertragung portugiesischer Rechtstexte ins Deutsche anwenden muss. Es ließ sich feststellen, dass es eine Reihe von Beispielen gibt, bei denen der Übersetzer nur eine einfache Transposition vornehmen muss. Allerdings finden sich gerade in fachsprachlichen Texten Konstruktionen mit dem persönlichen Infinitiv, die größere Umformulierungen erfordern und damit eine komplexere Transposition bzw. Modulation zur Folge haben. Ein höherer Schwierigkeitsgrad wird erreicht, wenn eine komplexe Transposition stattfinden muss, um den Satz ins Deutsche zu übertragen. Dies geschieht aber bis zu diesem Punkt lediglich auf rein syntaktischer Ebene. Mit zunehmender Schwierigkeit ist es notwendig, dass sich der Übersetzer sowohl syntaktischer als auch semantischer Umformungen bedient. Die syntaktischen Umformungen beruhen auf dem Vergleich der jweiligen Sprachsysteme, während die semantischen Umformungen auf dem Vergleich für das jereilige Fachgebiet prototypischer Texte in beiden Sprachen beruhen. Die Notwendigkeit eines Perspektivenwechsels in der Übersetzung ist gerade in unterschiedlichen Rechtssystemen zu erwarten. Im portugiesischen und deutschen Rechtssystem bestehen durch die unterschiedliche Rechtstradition andere Konventionen in der Formulierung bestimmter Rechtsgrundsätze, bedingt vor allem durch divergierende Begriffssysteme. Der höchste Schwierigkeitsgrad bei der Übertragung von Strukturen mit dem persönlichen Infinitiv ins Deutsche besteht dann, wenn komplexe Transpositionen in Verbindung mit dem Wechseln der Perspektive (Modulationen) auftreten. Dabei ist es notwendig, dass der Übersetzer als „Polyhistor" sein Hintergrundwissen aktivieren muss. Bei dem Übergang von der syntaktischen zur semantischen Ebene findet mit dem Übersetzungsverfahren der Modulation ein Übergang von der rein kontrastiven Sprachbetrachtung zur Textlinguistik statt, da der Persepektivenwechsel, den der Übersetzer sprachlich in der Zielsprache umsetzt, nur dann möglich ist, wenn er die kommunikative Situation erfasst hat.


>

Abb.: Schwierigkeitsgrade bei der Übertragung des persönlichen Infinitivs ins Deutsche


Bibliografie:

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